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Die Mädchenschule.
In der Visitation vom Jahre 1578[1] heißt es: „Keine megdleinschule.“ Auch in den nächsten Jahren treffen wir diese Bemerkung wieder. Ein Mädchen in Elsterberg konnte demnach um die angegebene Zeit und vorher nur durch private Unter-weisung Lesen und Schreiben lernen. Kurz nach 1540 hatte die Kirche zwar einen Organisten angestellt, also die Person, der nach damaliger Sitte im allgemeinen die Betreuung der Mädchen oblag, aber sein Dienst wurde schon vor 1551 mit dem des Kirchners vereinigt, weil „des gotteshaußes einkommen nicht wohl ertreget, uf jeden dienst eine person zu besolden“[2].
Als mit Ende des 16. Jahrhunderts (1599) wiederum ein selbstständiges Organisten-amt geschaffen wurde, setzten bald Bestrebungen ein, hauptsächlich gefördert durch Oberpfarrer Feige, eine Schule fürs weibliche Geschlecht zu errichten. Um 1613 erfolgte ein Organistenwechsel. Der neue Organist musste sich verpflichten, „neben seinem Weibe“ an der Mädchenschule zu lehren[3]. Die Kirche gewährte hierfür eine besondere Vergütung von 4 alten Schocken, wozu noch das Schulgeld kam. Vorübergehend hauste dieser erste Mädchenlehrer mit Namen Abraham Hübler in der unteren Vorstadt. Zwischen 1613 und 1614 errichtete ihm die Kirche neben der Pfarre ein eigenes Heim[4], „damit ein Organist nicht so oft ausziehen muß, sondern seine gewieße Wohnung habe“. In diesem Hause befand sich die erste Elsterberger Mädchenschule[5]. Es ist anzunehmen, dass nach dem Weggange Hüblers (1614) die neugegründete Schule weitergeführt wurde, wenn vielleicht auch mit Unterbrechung. Ihren Todesstoss erhielt sie erst, als 1638 Kirche, Pfarre und Organistenwohnung in Flammen aufgingen. Die Mädchenschule wurde nicht wieder aufgebaut, weil es an einem Lehrer fehlte. War doch der Organist nach der Zerstörung der Kirche sofort entlassen worden. Inzwischen hatten sich die Zeiten politisch stark verändert. Seit 1632 durchkostete das Vogtland und mit ihm Elster-berg die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges.
Aber gerade in diesen Jahren — wohl kurz nach 1640 — wurde eine Mädchen–schulmeisterin nach Elsterberg verschlagen. 1649 ist sie noch nachweisbar[6]. Ihr wurde auf Veranlassung des Oberpfarrers Matthäus Müller der Unterricht der Mädchen anvertraut[7]. 1650 wandte sie sich weg.
Die Schule übergab man dem neu angestellten Organisten unter der Bedingung, die Mädchen nur in den Anfängen des Buchstabierens zu unterrichten. In der Folge bewies die Mädchenschule eine solche Zugkraft, dass sie auch von einer größeren Anzahl Knaben besucht wurde. Anfangs wurde dies von den Knabenlehrern geduldet. Am 3. Februar 1662[8] aber richteten sie folgenden Brief nach Plauen:
„Dem Herrn Magister wird wißend seyn, wie unseres orts Mägdlein schuel sich auch mit Knaben von tag zu tag bestärcket wird. Welches denn, weil es zu einem mercklichen abbruch unseres Salarii gereichet, die wir täglich bey so geringer Frequentz sich kaum in die 40 biß 50 erstreckend, hingegen sich vor unserer Zeit in dreyen mahl höher erstrecket, selbdritt laboriren undt unß davon eintzig undt allein sustiniren müßen. Darbey unsere allgemeine Stadtschuel in ein ubles recht gesetzet, wir bey steigender undt schwerer Zeit in größeres elend gesetzet.“
Es folgt die Bitte, dass der Superintendent dahin wirken möge, dass der Organist sich mit der Unterweisung der Mägdlein begnüge. Dasselbe Schreiben trägt nach-stehende Bemerkung, aus der das Ende dieses Streites hervorgeht:
„Den 20. Febr. dieses 1662 Jhares hatt sich der Organist wegen der Knaben undt der Mägdlein Schul mit Hand und Mund erkläret gegen mich und die beyden Schuldiener keine Knaben mehr zu informiren, sondern bey der Mägdlein Information zu bleiben.“
Bis 1833 unterrichtete nur ein Lehrer an der Mädchenschule. 1824 bildete man zwei Klassen, die nacheinander zur Schule kamen. Im Januar 1833 genehmigte das Konsistorium die Verbindung der Kirchner- mit der zweiten Mädchenschullehrerstelle „für jetzt und solange nicht eine bessere Einrichtung möglich ist.“
Ihrem Charakter nach war die Mädchenschule eine sogenannte deutsche Schule, d.h. es wurde keine fremde Sprache gelehrt. Der Unterricht erstreckte sich auf Religion, Schreiben, Lesen und Rechnen. In der Folge unterlag der innere Betrieb all den Wandlungen, die wir schon bei der Knabenschule beobachteten[9].
Als Besonderheit können wir buchen, dass die Diakone im 17. und 18. Jahrhundert abwechselnd Montags und Donnerstags in der Mädchenschule Katechismus-examen[10] zu halten hatten.
Fächer, die der weiblichen Eigenart entsprechen, wie Handarbeit, Kochen usw., lassen sich in älterer Zeit für die Elsterberger Mädchenschule nicht nachweisen, wenn wir nicht die Bemerkung aus dem Jahre 1613[11] in diesem Sinne deuten wollen. Nur ein Versuch, das weibliche Geschlecht seiner Begabung gemäß auszubilden, ist bemerkenswert und soll angeführt werden. Nachdem die Strohflechtschule eingegangen war, regte sich der Wunsch, eine Schule für Mädchen zu gründen, in der diese sich technische und gewerbliche Fertigkeiten aneignen könnten. Das Ministerium war dem Plane geneigt und stellte 150 Taler Unter-stützung in Aussicht, wenn die Stadt ein Gleiches tue. In Verkennung des wahren Zweckes der Schule lehnte der Rat ein solches Ansinnen ab, weil „das Gewerbe in Elsterberg sehr schwunghaft gehe und die Kinder durchgängig Beschäftigung hätten“. Trotzdem gelang es der Tatkraft des Gerichtsdirektors Ackermann[12], die Schule im April 1838 ins Leben zu rufen. Sie war durchschnittlich von 30 Schülerinnen besucht. Über den Brand von 1840 kam sie gut hinweg, da der Unterrichtsraum in der Vorstadt lag. Gegen Ende des Jahres 1841 brach die Firma Facilides und Lang in Plauen, die die Arbeit vermittelte, die Beziehung zur Schule ab, „da der gelieferten Arbeit immer zu sehr der Stempel des häufig verunglückten Versuchs aufgedrückt wäre“. Ein anderer Verleger fand sich nicht. Infolgedessen ging die Schule im Sommer 1842 ein[13].
Die „Näh- und Stickschule“, die Oberpfarrer Schneider 1853 errichtete, scheiterte an ihrer Verbindung mit dem Rettungshause[14].
Unterhalten wurde die Mädchenschule von der Kirche. Allzu bedeutend scheinen die Ausgaben nicht gewesen zu sein. 1689 erfahren wir, dass 6 Groschen für einen Tisch ausgegeben werden. 1677 sind 7 Groschen verbucht „vor sechszellichte Bäncke“. Schwerer hatte es der Organist, der sich, wenn er nicht ansässig war, immer wieder um eine Wohnung mit einem für die Schule passenden Raum zu kümmern hatte. So musste 1657 Organist Paul Knüpfer sein Heim verlassen, „weil weder das Gotteshauß noch der Rath den Haußzinß entrichten kan und wil.“[15] Ein Jahrzehnt später kaufte Knüpfer ein seit dem Dreißigjährigen Kriege wüst liegendes
Haus der inneren Stadt und fand darin nach der Instandsetzung ein gesichertes Unterkommen. 1707 hören wir wieder einen Notschrei. Bartholomäus Heinrich Nagel wendet sich an den Superintendenten:
„ Ich muß eröffnen, dass ich keine eigene undt beständige Wohnung, wie andere Schul undt Kirchenbediente habe. Es ist mir zwar biß anhero jährlich 4 Florin auß dem Gotteshauße gegeben worden, wofür ich von einer Zeit zur andern eine Wohnung miethen können, weil ich aber bald da, baldt dort immer weichen muß, auch die Logiamenten immer angenehmer werden undt mir nicht ein iedwedes zu meiner Mädgensinformation anständig, weil darzu eine große Stuben von nöthen, als habe biß anhero, weil mir solches aus dem Gotteshauße verweigert worden, den 5ten Florin von meinen eigenen gelte geben müßen, weil ich nach dem Brandt keine wohlfeilere Wohnung haben können[16].“
Infolge der Einführung der Musselinweberei und der dadurch bedingten Zu-wanderung nahm Elsterberg von der Mitte des 18. Jahrhunderts ab einen regen Aufschwung. Dem Organisten fiel es immer schwerer, einen geeigneten Raum für seine Schule zu finden. Im Jahre 1761 hatte zwar Frau von Bünau-Kleingera ein Legat von 200 Gulden ausgesetzt mit der Bestimmung, den größten Teil dieser Summe zum Bau eines Mädchenschulhauses zu verwenden, von Gerichtsseite kam außerdem der Vorschlag, das baufällige und damals überflüssige Hospital, das dauernd Ausbesserungen verlangte, zu veräußern und die so gewonnenen Mittel für den genannten Zweck bereitzuhalten, trotzdem geschah nichts. Vor allem zeigte sich die Stadtverwaltung, die freilich in ihren Mitteln durch den Siebenjährigen Krieg völlig erschöpft war, allen Ausgaben abgeneigt.[17] Im Jahre 1763 konnte Günz, der damalige Organist, überhaupt keine Wohnung auftreiben, „weil niemand sich von 80 Kindern ein Zimmer verwüsten lassen will“.[18] Infolgedessen fiel der Unterricht in der Mädchenschule bis zum Herbste aus. Als das Konsistorium diesem Zustand ein Ende machen wollte, antwortete der Rat mit Verdächtigungen gegen Günz und schlug als geeigneten Raum ein leerstehendes Zimmer im Hospital vor. Pfarrer Müller nannte diesen Vorschlag „lächerlich und völlig unstatthaft“. Auf eine Strafandrohung des Konsistoriums hin wurde die Stadt- und Dorfdeputation zusammengerufen. Die Landbewohner erklärten sich zu einem Neubau bereit, wenn ihr Beitrag als frei-willig gegeben angesehen würde. Die Stadt gestand ein Häuschen mit einem Zimmer zu. Als Bauplatz wurde ein Grundstück in der Nähe des Glockenhauses in Aussicht genommen[19]. Um sofort einen Raum zu beschaffen, bewilligte der Rat not-gedrungen einen Beitrag. Der geplante Bau jedoch kam niemals zur Ausführung. Günz, dieses Treibens müde, kaufte sich selbst ein Haus und war hochherzig genug, dieses Gebäude im Jahre 1800 als Mädchenschule der Gemeinde zu vermachen, die ihm einst kaum ein Unterkommen bieten konnte. Die entsprechende Stelle seines Testaments lautet[20]:
„Ich setze die hiesige Kirche zum Universalerben meines sämtlichen Nach-laßes ein, und zwar in der Maaße, dass mein eigenthümliches Wohnhauß, welches zwischen Mstr. Sachßens und Mstr. Kuhns Wohnhäusern gelegen, auch in der Brandversicherung mit No. 47 bezeichnet ist, nebst dem hinter demselben befindlichen Gärtgen nun und zu ewigen Zeiten zur beständigen Wohnung für meine folgende Succeßoren und Haltung der Mädchenschule gewidmet seyn soll.
Damit aber auch die Onera vom gedachten Hause bestritten, dasselbe auch im baulichen Wesen erhalten werden kann: so wird das vorgefundene baare Geld, die etwanigen Documente ausenstehender Schulden, auch sämmtliches Mobiliar-Vermögen, welches zu dem Ende auctionis lege versteigert werden soll, zu einen Capital geschlagen, von den Intereßen zur Erhaltung des Hauses das Nöthige besorgt, auf keinerley Weise aber zu einem andern Behufe verwendet. Deswegen hat der jederzeitige Kastenvorsteher alljährlidh eine separate Rechnung über Einnahme und Ausgabe pflichtmäßig zu führen … So geschehen Elsterberg am 22. Juli 1800.
David Friedrich Günz.“
Mit der Zeit machten sich für das Gebäude größere Aufwendungen notwendig, die aus den Stiftungsmitteln nicht bestritten werden konnten und die deshalb von der Schulgemeinde vorgeschossen wurden[21]. 1834 brauchte man ein neues Klassen-zimmer. Man legte es in ein Bürgerhaus der unteren Vorstadt. Beim Brande von 1840 wurde das Mädchenschulgebäude zerstört. Die Baustelle nebst Garten und die Brandschädenvergütung wurden der Elsterberger Schulgemeinde überlassen. Den Zweck der Stiftung suchte man dadurch zu wahren, dass der Einbau einer Wohnung im neuen Schulhaus für den Mädchenlehrer verlangt wurde. Das kleine Barvermögen verwendete man z.T. zur Abtragung des auf der ehemaligen Mädchenschule liegenden Erbzinses. Der Ankauf eines Gärtchens für den Organisten und Mädchen-lehrer erfolgte durch Schulgemeinde und Günzsche Stiftung.[22]
Als Mädchenschullehrer war der Organist, abgesehen von einem kleinen Miet-zuschuß und dem Tranksteuerbeneficium, nur auf das Schulgeld angewiesen, das er selbst einziehen musste. Viele zahlten sehr säumig, eine Anzahl überhaupt nicht. Ähnlich lagen die Verhältnisse bei den Knabenlehrern. Bei Schluss des Jahres 1831 betrugen die Schulgeldreste in der Stadt reichlich 131 Taler, in Görschnitz 64 und auf dem kleinen Dorfe Feldwiese 32 Taler! Manche Verdrießlichkeiten, Schreibereien und Laufereien fielen weg, als das Schulgesetz vom Jahre 1835 diese Art des Lehrereinkommens beseitigte.
Wie mit der Zeit die Arbeit des Mädchenlehrers immer schwieriger wurde, zeigen folgende Angaben. 1775 schreibt Superintendent Strantz:
„In der Mädchenschule fand ich den Lehrer Herrn Güntze beschäfftiget unter 102 Kindern in 3 Claßen abgetheilet.“ 1801 werden durchschnittlich 120 Schülerinnen genannt. 1830 gehen 225 Kinder aus Elsterberg und 64 aus den Dorfschaften in die Mädchenschule. Diese 289 Kinder unterrichtete ein Lehrer in zwei Klassen[23].
[1] HStA Dresden Loc. 1994 Vis. des vogtl. Kreises 1578.
[2] Pfarrarchiv Elsterberg X 10.
[3] Ephoralarchiv Plauen II V 1 I.
[4] Ephoralarchiv Plauen II V 1 I.
[5] Ephoralarchiv Plauen II V 1 IX. Oberpfarrer Müller schreibt am 7. Dezember 1761 u.a.: „… wohl aber halt mich ein alter Bürger Nahmens Gottfried Hugo allhier versichert, wie seine Großmutter nach ihrer Erzählung zwischen dem Frankenhofe und der Pastorat–wohnung annoch in ein der Maydchenschule damahls gewidmetes Haus in die Schule gegangen wäre, welches Haus aber, nach dem vor mehr als 100 Jahren allhier ent-standenen Brande nicht wieder erbaut worden. Itzo ist dieser Platz ein kleines zu meiner Wohnung gehöriges und mit Brettern verschlagenes Plätzchen, als ein unter der Studirstube liegendes Baumgärtchen, wovon man gegen den Frankenhof zu noch deutlich die Mauer siehet, auf welcher die Staketen ruhen. Sowohl die Lage, als auch dass nicht die geringsten Abgaben darauf haften, möchte die Nachricht dieses Bürgers bekräftigen.“
[6] Pfarrarchiv Elsterberg XXI 2: „2. Januar 1649: So kann biß uff ferner verordenen alle Sontage gegeben werden alß …. vor 8 Pfennige der alten Mägtlin Schulmeistern.“
[7] Siehe Anlage Q – Schreiben des Kantor Georgi
[8] Pfarrarchiv Elsterberg Der Schuldiener Dezemkorn betr. 1617ff.
[9] Siehe Kap. „Innerer Schulbetrieb“.
[10] Konsistorialarchiv Dresden R. 12.
[11] Ephoralarchiv Plauen II V 1 I: Org. Hübler sollte sich „neben seinem Weibe“ der Mädchenschule annehmen.
[12] Ackermann betrieb die Einrichtung auch noch von Dresden aus, wohin er 1835 über-gesiedelt war.
[13] Pfarrarchiv Elsterberg XXVII 6 und AKr Zwickau F III 1 No. 139.
[14] Pfarrarchiv Elsterberg XXIV 6.
[15] Pfarrarchiv Elsterberg Alte u. neue Vis.-Abschriften
[16] Ephoralarchiv Plauen II III 4 I.
[17] Ephoralarchiv Plauen II III 8.
[18] Konsistorialarchiv Dresden E 58.
[19] Ephoralarchiv Plauen II III 8.
[20] Ephoralarchiv Plauen II III 12.
[21] Ratsarchiv Elsterberg II 1 No. 9.
[22] Ephoralarchiv Plauen II III 36.
[23] Ephoralarchiv Plauen II III 4 II.